Soziologie des Erdbebens, Prof. Dr. Şükrü Aslan, in: BirGün, 12.02.2023

 

Übersetzung: Zeynep Arslan

Nach dem Marmara-Erdbeben hoffte man, dass anstelle vom Bau neuer Häuser, Maßnahmen zur Verhinderung des Einsturzes von Häusern überhaupt ergriffen würden. Der ersten Botschaft des Präsidenten nach scheint sich jedoch nichts ändern zu werden.

Die meisten Menschen in der Türkei haben direkte oder indirekte Erdbebenerfahrung. Der Grund dafür ist, dass das Land auf Verwerfungslinien liegt, die in den vergangenen Jahren gebrochen sind bzw. zu brechen drohen; mit anderen Worten, es befindet sich in einer Erdbebengeografie. Daher hat der Staat auch eine Erdbebenerfahrung. Außerdem hat sich ein tiefes Erdbebengedächtnis herausgebildet, das allerdings nicht an die nächsten Generationen weitergegeben wurde.

Wie bei Einzelpersonen und Gemeinschaften wird erwartet, dass sich die Erdbebenerfahrung des Staates im Laufe der Zeit weiterentwickelt, und in gewissem Maße ist dies auch geschehen. So wurden beispielsweise mehrstöckige „Erdbeben sichere Häuser“ gebaut und staatliche Zeremonien für die Übergabe von „schlüsselfertigen Häusern“ abgehalten, um Reden wie „die Überlebenden nicht im Freien zu lassen“ zu stützen. Nach jedem Erdbeben hat der Staat, wenn man die Haltungen der Verantwortlichen und ihre geleisteten Arbeiten betrachtet, die größte Erfahrung in der Vergrößerung und Erweiterung im Bauwesen gemacht.

Marmara, 1999

Nach den verheerenden Folgen des Marmara-Erdbebens von 1999 hatte man gehofft, dass man statt „neue Häuser zu bauen“ für die Bürger*innen Maßnahmen ergreifen würde, um den Einsturz von Häusern zu verhindern. Diese Erwartung wurde durch die Vorschriften für das Bauwesen und die „Erdbebensteuer“ als Mittel zur Erzielung erheblicher Einnahmen für die Regulierung dieses Bereichs verstärkt. Da das letzte Erdbeben vom 6. Februar, von dem zehn Provinzen betroffen sind, noch immer in vollem Umfang zu spüren ist, hat sich den ersten Botschaft des Präsidenten, der die Region besuchte, herauslesend zufolge nicht viel geändert. Diese erste Botschaft war wie immer das Versprechen, dass „innerhalb eines Jahres neue Häuser gebaut und an die Familien, deren Häuser zerstört wurden, übergeben werden“. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz all dieser Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Erdbeben das offensichtlichste Ergebnis der staatlichen Politik abermals eine verstärkte Bautätigkeit ist. So sehr, dass neue Städte gebaut und alte wiederaufgebaut werden möchten. Diese Politik wird also fortgesetzt.

DER ERDBEBEN IST KEINE KATASTROPHE

Zweifellos ist das Erdbeben an sich keine Katastrophe, sondern ein Naturphänomen. Wie Geophysiker*innen und Geolog*innen in vielfältiger Weise analysieren, wird es durch die Bewegung von Verwerfungen verursacht, die kurz vor dem Aufbrechen stehen. Diese Bewegung ist das Ergebnis der Ansammlung von Energie und ihrer Explosion an einem bestimmten Punkt, und sie tritt zu bestimmten Zeiten auf.

Istanbul, heute

Die Gradwanderung eines Erdbebens in eine Katastrophe hängt nicht mit dem Naturereignis selbst zusammen, sondern mit seinen ausgelösten Konsequenzen. Es geht darum, wie viele Gebäude einstürzten, wie viele Menschen und Tiere sterben, wie viele Menschen entblößt oder verkrüppelt sind, inwieweit es zu wirtschaftlichen Zerstörungen kommt usw. Die Situation, die zu diesen Ergebnissen führt, hängt mit der Urbanisierung, der Standort und die Raumqualität und der Erdbebenvorsorge zusammen. Daher sollten die Faktoren, die Erdbeben zu Katastrophen machen, in den präventiven Strategien und Praktiken der Systeme gesucht werden. Wenn die Urbanisierung und die Bauprozesse unter Berücksichtigung des Erdbebenphänomens durchgeführt werden, kann das Erdbeben durchaus ein natürliches Phänomen bleiben, ohne in eine Katastrophe auszuarten. Wie Überschwemmungen, Lawinen, Blitzeinschläge, Regen. In der Tat gibt es dafür viele Beispiele in der Welt. So passieren z.B. trotz Erdbeben der Stärke 8 und mehr in den Städten Japans nicht mehr Todesopfer als ein paar Finger an zwei Händen; trotz höherer Stärken arten Erdbeben in Japan nicht zu Katastrophen aus.

In der Türkei kann jedoch selbst ein Erdbeben der Stärke 6 zu einer Katastrophe führen, wofür es zahlreiche Beispiele gibt. So starben beispielsweise 2.396 Menschen bei einem Erdbeben der Stärke 6,9 in Varto am 19. August 1966, 2.385 Menschen bei einem Erdbeben der Stärke 6,6 in Lice am 6. September 1975, 1.155 Menschen bei einem Erdbeben der Stärke 6,9 in Erzurum am 30. Oktober 1983 und 653 Menschen bei einem Erdbeben der Stärke 6,8 in Erzincan am 13. März 1992. Es gibt noch viele weitere Beispiele. In all diesen Beispielen führte das Erdbeben in der Konsequenz zu humanitären Katastrophen. Hat sich das Erdbeben vom 6. Februar, das wir heute erleben, zu einer Katastrophe entwickelt? Zweifelsohne ja und zwar massiv. Aber die Ursache dafür ist weder ein Erdbeben allein und an sich noch ein vermeintliches Schicksal.

URBANISIERUNG UND DER UMGANG DER TÜRKEI MIT SEINER ERDBEBENERFAHRUNG

Istanbul, Fikirtepe, Urbanisierung, heute

Für diejenigen in der Türkei, die den Städtebau als Gelegenheiten zur Erzielung von Mieteinnahmen betrachten, waren Erdbeben nie eine lehrreiche Erfahrung. Aus diesem Grund sind die Folgen aller Erdbeben, die zu massiven Städtezerstörungen führten, bis dato nichts weiter als hoffnungslose Wiederholungen. Erdbeben haben Städte, in der sie sich ereigneten, zerstört, Tausende von Menschen getötet, aber als Folge wurden diese Städte an den gleichen Stellen oder in nächster Nachbarschaft wiederaufgebaut. Es ist, als würde man eine neue Katastrophe heraufbeschwören.

Obwohl zum Beispiel das Erdbeben von 1939 in Erzincan die gesamte Stadt zerstörte und dabei 32.968 Menschen getötet wurden, wurde die Stadt wenig später binnen kürzester Zeit wieder aufgebaut. In der Folge erlebte die Stadt am 26. Juli 1967 ein weiteres Erdbeben der Stärke 5,9, bei dem 97 Menschen starben, und am 13. März 1992 ein weiteres Erdbeben der Stärke 6,8, bei dem 653 Menschen starben. Auch in Bingöl, das genau an der Verwerfungslinie liegt, ereignete sich am 22. Mai 1971 ein Erdbeben der Stärke 6,8, bei dem 878 Menschen getötet wurden. 32 Jahre später, am 1. Mai 2003, ereignete sich an der gleichen Stelle ein weiteres Erdbeben der Stärke 6,4, bei dem 176 Menschen starben. Es gibt noch weitere Beispiele, so gab es in Sakarya 1943, 1967 und 1999 drei schwere Erdbeben. In Anbetracht der Zeitabstände zwischen den einzelnen Erdbeben in Sakarya steht das vierte bevor. Doch nach jedem Erdbeben werden Städte in derselben Art und Weise wieder aufgebaut.

Istanbul, Fikirtepe, Urbanisierung

Wenn wir alle Erfahrungen wie diese Beispiele betrachten, ist die Türkei wie ein Land, das sich sturr und hartnäckig in einen sehr fragwürdigen Kampf mit dem Erdbeben begibt. Diese blinde Hartnäckigkeit zeigt sich nicht nur im abermaligen Wiederaufbau der Städte, die an Verwerfungslinien zusammengebrochen sind, sondern auch darin, dass so dicht gebaut wird, dass im Inneren der Städte fast kein Platz mehr bleibt. So wurden beispielsweise nach dem Marmara-Erdbeben 1999 allein in Istanbul 300 der 470 als „Erdbeben-Sammelstellen“ ausgewiesenen Orte durch Baustellen ersetzt.

Die Situation, die wir jetzt bei dem Erdbeben vom 6. Februar erleben, ist ein neues Beispiel für all diese Wiederholungen. Obwohl der Schwerpunkt in Kahramanmaraş lag, sind zehn Provinzen (Gaziantep, Kilis, Hatay, Urfa, Urfa, Adıyaman, Diyarbakır, Adana, Malatya, Osmaniye) und eine Bevölkerung von 13,5 Millionen Menschen betroffen. Tausende von Gebäuden in den Stadtzentren sind zerstört, darunter fatalerweise v.a. Neubauten und öffentliche Gebäude. Die Zahl der Menschen, die ihr Leben verloren haben, ändert sich täglich, aber sie geht bereits in die Zehntausende.

Istanbul, Fikirtepe, heute

Der wichtigste Grund dafür, dass Erdbeben zu großen Katastrophen werden, sind zweifellos die Tatsache, dass die Städte zu Betonmassen ausgeartet werden und gemeinsam mit abnormalem Bevölkerungswachstum einhergehen. Allein die Bevölkerungsstatistiken der Stadtzentren der zehn erdbebengeschädigten Provinzen in den letzten zwei Jahrzehnten zeigen, dass diese Städte für ihre Verhältnisse untragbar überlastet sind. Die Bevölkerungszahlen der Jahre 2000 und 2022 zeigen, dass sich die Bevölkerung in jedem dieser Zentren im Durchschnitt verdoppelt hat, in einigen Fällen sogar mehr. Wenn wir die beiden Daten für jedes Stadtzentrum zusammen betrachten: Adana: 1 Million 397 Tsd / 2 Millionen 263 Tausend 273, Adıyaman: 338 Tsd 939 / 632 Tsd 148, Diyarbakır: 819 Tsd. 692 / 1 Mio. 791 Tsd. 323, Gaziantep 1 Mio. 9 Tsd. 126 / 2 Mio. 130 Tsd. 432, Hatay; 581 Tsd. 341 / 1 Mio. 670 Tsd. 712, Maraş: 536 Tsd. 7 / 1 Mio. 171 Tsd. 298, Kilis 74 Tsd. 985 / 145 Tsd. 826, Malatya: 499 Tsd. 713 / 808 Tsd. 692, Osmaniye: 311 Tsd. 994 / 553 Tsd. 12, Urfa: 842 Tsd. 129 / 2 Mio. 143 Tsd. 20. Dieses anormale Bevölkerungswachstum wurde durch die Öffnung der landwirtschaftlichen Gebiete und der städtischen Randgebiete für neue Bauprojekte zusätzlich potenziert. Schon ein kleines Erdbeben kann damit in eine humanitären Katastrophe münden. Mit anderen Worten: Die Ursache der Katastrophe lieg in der Profitgier der Urbanisierungspolitik und -praxis.

SOZIOLOGISCHE ASPEKTE DES 6. FEBRUARS

Am 6. Februar 2023 ereigneten sich zwei schwere Erdbeben hintereinander, und viele soziologische Aspekte, die sich bereits herauskristallisiert haben, sind interessant. Die wichtigste davon ist die Inkompetenz der offiziellen Institutionen im Zusammenhang mit den Rettungseinsätzen. Seit dem ersten Tag des Erdbebens warten Tausende von Familien in den Trümmern verzweifelt auf ein Rettungsteam. Tausende von Menschen starben, weil nicht rechtzeitig in die Ruinen eingegriffen wurde. Diejenigen, die überlebten, konnten die Stadt nicht verlassen. Zehntausende von Menschen konnten besonders in den ersten 3-4 Tagen keine warme Suppe, keine Toilette, kein Wasser und kein Brot finden. Alle relevanten offiziellen Institutionen, insbesondere AFAD (türkischer Katastrophenschutz), funktionierten entweder nicht oder kamen zu spät. Dass die offiziellen Institutionen damit selbst unter den Trümmern begraben sind ist ein angemessener Ausdruck für dieses Versagen.

Doch es strömte Hilfe aus dem ganzen Land (und der ganzen Welt) herbei. Wie wir wieder einmal gesehen haben, spielt die „Solidarität“ (die in außergewöhnlichen Situationen sofort ins Spiel kommt und die wichtigste Rolle dabei spielt, zu verhindern, dass aufgrund angespanner Lage vorliegende Spannungen im Land in Konflikte umschlagen) als einzigartiger Mechanismus der kulturellen Tradition der Türkei und erfüllte wieder sie eine sehr wichtige Funktion.

Der Autoritarismus, der inzwischen das politische System und die Sprache des Landes vollständig beherrscht, hat durch das Erdbeben einen völlig anderen und neuen Schaden angerichtet. Die Beschränkung der sozialen Medien, die Beschuldigung von Oppositionsparteien und die Beschuldigung von Bürgermeistern der Oppositionsparteien waren interessante Szenen. Diese politischen Diskurse und Haltungen spiegeln sich auch auf der Straße wider, wo oppositionelle Bürgermeister und Journalisten, die in der Region Hilfe und Unterstützung leisten, angegriffen wurden. Ein weiteres Beispiel für Symptome des Autoritarismus ist die Verhängung eines dreimonatigen Ausnahmezustands in der Region. Dabei war doch einer der wichtigsten Gründe für die Umstellung auf das Präsidialsystem, dass es ein schnelles Eingreifen in außergewöhnlichen Situationen ermöglicht. In diesem Fall kann die Ausrufung des Ausnahmezustands, sofern es keine anderen Gründe gibt, auch als Eingeständnis der Dysfunktionalität des präsidialen Regierungssystems verstanden werden.

In der Zwischenzeit ist es auch möglich, über einige ganz neue soziologische Zustände des Erdbebens zu sprechen. Einem Hund Serum zu geben, bei den Ruinen auf eine Katze zu warten, einem Sperling Wasser und Futter zu geben. Kurzum, dies waren Beispiele für die soziale Betreuung von Tieren. Es ist bekannt, dass Tiere ihre Besitzer besonders beschützen und sie in schwierigen Situationen nicht im Stich lassen. Beispiele für das Gegenteil sind jedoch leider recht selten zu sehen. Bei diesem Erdbeben wurden diese Beispiele noch viel deutlicher. Im Hinblick auf die Dialektik zwischen Mensch und Tier und die Kultur der Koexistenz können manche Beispiele dennoch sehr originell, neu, positiv und vielversprechend sein.

SICH KONFRONTATIV DER ERDBEBENPOLITIK ZU STELLEN

Raum, Identität, Politik – Sammelschriften zur Soziologie der Städte

Das Phänomen der Erdbeben in der Türkei hat in vielen Städten eine tief verwurzelte Erinnerung geschaffen. Das Gedächtnis der Städte ist eine sehr wichtige Lektion für sie selbst und für die ganze Welt. Von den Städten, die diese Erfahrung gemacht haben, wird erwartet, dass sie dieses Phänomen in ihrer Erinnerung sichtbar machen. Erzincan, Varto, Afyon, Bolu, Adapazarı, Düzce, Bingöl, Van. Jetzt sind neue hinzugekommen. Mit Ausnahme der Erdbebengedenkstätte in Yalova und des Erdbebenmuseums in Adapazarı (beim besten Wissen und Gewissen, dass selbst diese noch von den eigentlichen Zielen noch weit entfernt sind) sprechen all diese Städte allgemein über das Erdbeben, ohne ihre eigene reale Geschichte der Zerstörung zu sehen. So wie das Land im Allgemeinen dies überhaupt macht. Darum braucht die Türkei starke, tief verwurzelte Erdbebengedenkstätten.

Was es zu konfrontieren gilt, sind die vermeintlichen Erdbeben-Maßnahmen, die die Politik von Anfang an beharrlich verfolgt. Das wichtigste Merkmal dieser Politik ist, dass sie so gierig nach Profiten ist, dass sie das Erdbeben ignoriert. Selbst die vermeintlichen „Stadtentwicklungsprojekte“, die angeblich als Maßnahme gegen Erdbeben präsentiert werden, haben sich in Wirklichkeit als eine Methode erwiesen, die es ermöglicht, städtische Mietprofite auf höchstem Niveau zu schlagen und unter den Nutznießern aufzuteilen. All diese mietpolitischen Profitmachinerie ist der Grund dafür, dass sich die relevanten Organisationen so stark für die „Stadterneuerung“ einsetzen. So haben die Praktiken der „Stadterneuerung“ im Allgemeinen den Wohnungsbestand sowie die Bevölkerungszahl in den Städten abnormal vergrößert und die Voraussetzungen für eine größere Massenvernichtung im Falle eines möglichen Erdbebens geschaffen.

Die Öffnung für Bauprojekte selbst der ehemaligen Militärzonen in den zentralen Bereichen einiger Städte, die oft die letzten Grünflächen in den Städten darstellten, ist ein Produkt und Ergebnis dieser Mietwucherpolitik. In einigen dieser Gebiete wurde fast sofort mit einer intensiven Bautätigkeit begonnen. Kurzum, die Städte haben sich in Betonhaufen verwandelt.

Was nützt es in einer solchen Situation, den Millionen von Menschen, die unter den Trümmern eingeschlossen sind und ihr Leben verloren haben, zu „Geduld“ zu raten, indem man sagt, „es war Schicksal“, während man die wahren Ursachen der Katastrophe, das große Verbrechen, die zur Zerstörung von Städten, Menschen und Tieren geführt haben, vertuscht? Welche andere Funktion hat der Diskurs über „nationale Einheit und Solidarität“ als die, die Politiken und Praktiken zu lehren, die eine kleine Anzahl von Menschen extrem reich gemacht haben, indem sie Städte für Megabauprojekte geöffnet haben, als wären sie ihr eigenes Privateigentum? Was für eine Art von „nationaler Einheit“ ist das?

Kann ein politisches System, das sagt: „Wir werden eure Häuser wieder aufbauen und sie euch geben“, oder das Millionen von Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben und deren Hoffnungen enttäuscht wurden, finanzielle Unterstützung verspricht, die Sprache und das Verhalten eines Staates sein, wenn alle anderen Details ignoriert werden? Braucht es für einen funktionierenden Staat nicht mehr als das? Zum Beispiel, v.a. vorhersehbaren Katastrophen präventiv vorzubeugen, anstatt nach Katastrophen zu Rettungs- und Hilfsaktionen zu greifen, die außerdem abermals im Chaos enden? 

Ist das alles wirklich „Schicksal“? Haben zum Beispiel diejenigen, die die letzten Grünflächen und die Randgebiete der vom Erdbeben zerstörten Städte für Megabauprojekte geöffnet haben keine Schuld? Diejenigen, die den Bau von mehrstöckigen Gebäuden in diesen Gebieten genehmigt haben keine Schuld? Diejenigen, die fast jede freie Lücke in den Städten, sogar in den Erdbebensammelgebieten, mit riesigen Bauobjekten gefüllt haben keine Schuld? Und diejenigen, die denjenigen, die all diese Gebiete mit illegalen Bauten überhaupt geplündert haben, unter dem Namen „Zonenfrieden“ legale Genehmigungen und Erleichterungen verschafft haben keine Schuld? Und begehen auch die politischen Entscheidungsträger, die hinter all dem stecken, keine permanenten Verbrechen – um es ganz im Schema des Regierungsnarrativs, nämlich des „Schicksals“ zu sagen – haben sei alle keine „Sünden“ begangen?  

 

Beitrag in original in: BirGün, 12.02.2023, https://www.birgun.net/haber/depremin-sosyolojisi-421126 

Prof. Dr. Şükrü Aslan ist Soziologe an der Mimar Sinan Universität, Istanbul. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in Urbanisierung, Migration, Erinnerungskultur, Erinnerungsräume. 

 

 

 

 

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