Hovsep Hayreni: Die Moschee des „Beuterechts“ als Symbol der „Souveränität“

 

Autor: Hovsep Hayreni

Übersetzung von Türkisch ins Deutsch: Zeynem Arslan 

Seit den Okkupationsfeiern[1] im Mai wurde der Status des Hagia Sophia erneut und intensiv diskutiert. Wohin es gehen würde, war offensichtlich. Und mit einer vierzehntägigen Umsetzungsfrist wurde am 10. Juli der Befehl an die Staatskanzlei vergeben:[2] Die Hagia Sofia, die seit dem Jahr 1934 den Status eines Museums genoss, wurde somit in den Status einer Moschee übergeleitet. Jene, die behaupten dass „die Türkei sich dazu niemals trauen würde“, wurden somit mit einem banalen Schritt überrascht, während die Okkupation Istanbuls zu Ende geführt und „der Unabhängigkeitskrieg gegen sieben Welten“[3] eine weitere Siegestrophäe erhielt.

Während Sultan Mehmet II., der Konstantinopel, die Hauptstadt von Byzanz eroberte und die Hauptgebetsstätte der Orthodoxen Welt, die Hagia Sophia als Symbol seiner Invasion in eine Moschee umwandelte, war es erst einer seiner Nachfolger, Murat III., der an vier Seiten des Bauwerks Minaretten errichten ließ.  Etwa fünfhundert Jahre wurde die historische Gebetsstätte als Moschee benutzt, bis sie Mustafa Kemal (Atatürk) 1934 in ein Museum umwandelte, um dem Westen gegenüber sozusagen die laizistische und moderne Ausrichtung der Republik unter Beweis zu stellen. Er wandte sich von Monarchie[4] und Kalifat ab und entschied sich für das Modell der „Republik“. Danach führte er Neuerungen, wie die sogenannten „Revolutionen des Alphabets[5] und der Bekleidung[6]“ ein und sorgte in religiöser Hinsicht in den Reihen den Konservativen für Unmut, die mit der Statusänderung des Hagia Sophia fortgesetzt wurde. 

In Wirklichkeit waren inkl. M. Kemal, jene, die dem laizistischen Image der Tradition der Unionisten[7] folgten, nicht gegen die Hoheit des Islam. Die privilegierte Rolle des Islam gegenüber den anderen Religionen blieb mit der Einführung des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten[8] bestehen. Der Hut statt des Fez änderte die Ideen in den Köpfen ebenso wenig. Schlussendlich waren diese Streitereien zwischen den Laizisten und Religiösen insgesamt zwischen den Nationalisten[9], den Islamisten, den Unionisten[10], Republikanern, und allen unterschiedlichen Variationen politischer Gruppen des Türkisch-Islamischtischen Chauvinismus nichts weiter als Schaukämpfe. Wer den religiösen Fanatismus ansprechen wollte, machte immer wieder die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee zum Thema.

Auch diesmal wurde als Ausweg aus der politischen Negativentwicklung versucht, die Emotionen der nationalistischen und konservativen Wähler*innenschaft abermals anzusprechen; So nahm Erdoğan sich der Herausforderung an dieser Forderung Folge zu leisten während der Okkupationsfeier Istanbuls und starte eine Art Kampagne. Als das Thema diskutiert wurde, betonte auch der Koalitionspartner Bahçeli[11] das „Beuterecht“. Dieses Wort gebrauchte nicht nur er sondern auchMurat Bardakçı[12] und viele andere. Interessanterweise unterstützte just die Republikanische Volkspartei CHP die Kampagne, die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln – die Partei Mustafa Kemals, der sie einst zum Museum machen ließ und die stets schwört, niemals von seinem Weg abgekommen zu sein. Diese opportunistische Haltung gibt Erdoğan freie Hand und macht deutlich, wie falsch die Darstellung der Türkei als laizistisches Land ist; gleichzeitig ist sie die Kapitulationserklärung der Laizismusbefürworter im jahrzehntelangen Schaukampf.

Es dürfte nicht allzu falsch sein, dass auch die (prokurdische; Anm.) HDP sich eher unauffällig verhielt und eine eher schüchterne Zustimmung zeigt. Allem Anschein nach ziehen es sowohl die CHP als auch die HDP vor, eine pragmatische Haltung einzunehmen und haben sich mit dem zusätzlichen Erstarken des Islam arrangiert. Insgesamt nützt dieser Schritt nur dem Erstarken des religiösen Konservatismus.

Der außenpolitische Aspekt ist nicht weniger interessant. Wir befinden uns in einer Zeit, in der Invasion, Unterdrückung, Plünderung und Vandalismus mittels Schwert immer kritischer hinterfragt werden, und Denkmäler, die Symbole genau dafür sind, gestürzt werden; Hier kann es nicht akzeptabel sein, dass ein Land mit seiner Tradition als Eroberer dermaßen protzt und mit dem Anspruch „ich werde mein Beuterecht der ganzen Welt kundtun“ durch die Welt geht. Die tolerante Haltung der Staaten, die Interessenbeziehungen zur Türkei pflegen, um ihren Deals nicht zu schaden, schwächen die internationale Kritik. Trotzdem ist die allgemein-gefühlte Gegner*innenschaft in der Außenwelt eine weitere Gelegenheit für Erdoğan, diese Situation zu seinen Nutzen zu instrumentalisieren.

Insgesamt ist es bemerkenswert, dass er in einem Überton sagt, dass die Frage „in welcher Weise die Hagia Sophia Verwendung finden wird, mit den Souveränitätsrechten der Türkei zu tun hat“ und „in diesem Zusammenhang jegliche Stellungnahme als Verletzung dieser erachtet“. Auch der zweite Mann der CHP, Muharrem İnce unterstrich diese Aussage und trug das seine bei, gemeinsam mit Erdoğan das ewige Porträt der Nationalen Einheit zu zeichnen. Die „Unabhängigkeit“, die hier gemeint ist, ist jene seelische Einstellung, dass „alles, was sein (der Nation; Anm.) Schwert berührt hat, ihm halal ist wie die Milch seiner Mutter;“ prosaisch: dass die Nation über alle unter seine Herrschaft unterworfene Völker samt ihrem Hab und Gut verfügt, auch jenseits des internationalen Rechts und ungeachtet menschenrechtlicher Grenzen, und vollkommene Freiheit im Umgang mit ihnen besitzt. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in jüngster wie in ferner Vergangenheit, lassen sich kaum mehr abzählen.

Mit diesem Verständnis geht man jede Kooperation mit imperialistisch agierenden Staaten ein, räumt ihnen ökonomische Privilegien ein; übernimmt sogar die Rolle des Untertans und Wachhundes. Unter der Voraussetzung, dass man selbst alle Freiheit hat, mit den Völkern, die man selbst beherrscht, umzuspringen, wie man will. Mit diesem Souveränitätsverständnis haben zuerst die Jungtürken und in ihrer Folge die Kemalisten die christlichen Völker, die Armenier, Assyrier und Pontosgriechen des (damals untergegangenen, Anm.) Osmanischen Reichs zum Verschwinden gebracht und ihr kulturelles Erbe vernichtet. Das wird verleugnet und mit Prahlerei, billigem Heroismus und Leugnung übertüncht.

Nachdem die Entscheidung nun getroffen ist, und die Welt herausgefordert, müssen wohl dem „Beuterecht“ entsprechend der Name Hagia Sophia und auch das Design geändert werden. Eine Moschee namens Hagia Sophia kann es nämlich nicht geben! Am besten sollen sie, um den Witz in der Sache nun endlich auch aufzuklären, den richtigen Namen verwenden: Die Moschee des Beuterechts! Ebenso sollen damit zusammenhängend die später dazu gebauten Minarette in blutige Schwerter verwandelt werden. Sie müssen nicht zaudern. Schließlich vertreten sie diese Haltung in vollem Stolz in ihren nationalistischen Gedichten: die Minarette sind Bajonetten, die Kuppel Helme“[13] Damit würde sich außerdem der Kreis zur hier gepflegten Haltung schließen!

[1] Anm. Eroberung Konstantinopels durch Fatih Sultan Mehmet im Jahre 1453.

[2] Anm. am 24. Juli 1923 wurde der Staatsgründungsvertrag in Lausanne beschlossen, was als Beendigung des Kalifats und Angriff auf den Islam interpretiert wird. Im Sinne des Neo-Osmanismus, der die AKP-Regierung in der Türkei derzeit folgt, soll die Geschichte wieder umgeschrieben bzw. rückerobert werden. Erdoğan verkündete seine Entscheidung am 10. Juli um 20:53 Uhr. Istanbul wurde im Jahre 1453 erobert.

[3] Anm. Das nationalistische Narrativ ist, dass der Erster Weltkrieg, sprich der Befreiungskrieg gegen die ganze (christliche) Welt geführt wurde. 

[4] Anm. monarchischen.

[5] Anm. Beendigung des arabischen und Einführung des lateinischen Alphabets im Jahre 1924.

[6] Anm. westliche Hüte statt dem osmanischen Fez.

[7] Anm. Partei und Strömung der Jungtürken (1889-1918).

[8] Anm. dieser hat den Status eines Ministerium und ist dem Bundeskanzleramt zugeteilt; gegr. im Jahre 1924.

[9] Anm. Nationalisten mit islamistischen Tendenzen.

[10] Anm. Nationalisten mit linkspolitisch ausgerichteten Tendenzen.

[11] Anm. ultranationalistische Partei, MHP (Tr. Milliyetçi Hareket Partisi).

[12] Anm. renommierter türkischer Journalist und Fernsehmoderator, dessen Großvater Cemal Bardakçı (1887-1981) ein hochrangiger türkischer Bürokrat gewesen ist und als einziger Staatsmann in seinen Rapports den Dersim-Genozid 1937/38 nicht empfohlen hatte.

[13] Anm. Das Gedicht vom islamistischem und antisemitistischen Ideologen, Necip Fazıl Kısakürek (1904-1983) lautet: „Die Demokratie ist nur ein Zug, auf den wir nur aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Minarette sind unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme, die Moscheen unsere Kasernen und die Gläubigen unsere Soldaten“. Wegen der Rezitation dieses Gedichts wurde Recep Tayyip Erdoğan im Jahre 1998, als er noch der Bürgermeister Istanbuls für die islamistische Partei Wohlfahrtspartei (Tr. Refah Partisi) amtierte, im damals noch kemalistisch regierten Staat, festgenommen und verurteilt.

 

Artikel veröffentlicht in Türkisch am 11.07.2020 in yakindoguyazilari.com: https://yakindoguyazilari.com/hovsep-hayreni-yazi-bagimsizlik-sembolu-kilic-hakki-camii/?fbclid=IwAR1GrpcGUKYDnf7Rjrh-GKVo60Gt2V-uH3J2BM1f486QmL4kMZic26Sz4_I

Übersetzte Veröffentlichung unter zeynemarslan.com am 12.07.2020

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