20 bis 30 Prozent der in Österreich lebenden Menschen haben kein Wahlrecht.?!

 

Die globalisierende Welt und die Informationsflüsse machen es nicht möglich, dass wir nicht über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Die Konsequenzen der Spannungen, die wo anders in der Welt passieren, erreichen in unterschiedlichen Weisen früher oder später auch uns.

In einer globalisierenden Welt werden Menschen aufgrund der nationalen und internationalen Macht- und Produktionsverhältnisse in die Emigration gedrängt. Menschen emigrieren aus verschiedenen Gründen, wie z.B. für fairere Arbeitsbedingungen, würdigere Lebensvoraussetzungen, demokratischer Politikrahmen etc. Diese Liste ist lang und in einer Welt, in der Lebensumstände asymmetrisch konzipiert sind und manche mehr und andere weniger „Glück“ haben und sich die Menschen nicht aussuchen können, wo sie zur Welt kommen, ist die Migration ein Menschenrecht.

Österreich ist  nicht nur ein Einwanderungsland, sondern auch ein Auswanderungsland. Laut den Angaben von Statistik Austria sind im Jahr 2018 146.856 Menschen nach Österreich eingewandert, aber 111.555 Menschen wiederum ausgewandert (weltweit aktuell: ca. 500.000). Damit das österreichische Pensionssystem aufrechterhalten bleiben kann, müssten pro Frau zwei Kinder geboren werden. Erst 2017 konnten wir – auch aufgrund der höheren Anzahl der Zuwander*innen im Zuge des syrischen Bürger*innenkrieges – eine positive Geburtenrate erzielen. Die Babyboomer*innengeneration der 1960er Jahre wird ab dem Jahr 2020 beginnen in die Pension zu gehen und unsere Gesellschaft altert immer mehr. Weiters haben laut den letzten Erhebungen (2018) der Wirtschaftskammer Österreich 60 % der Betriebe häufig Schwierigkeiten bei der Suche nach Mitarbeiter*innen mit Lehrabschlüssen. Wir brauchen heute noch Facharbeiter*innen in den Bereichen Gesundheits- und Krankenpflegeberufe, Programmierer*innen, Köch*innen, Handwerker*innen, Techniker*innen etc. Heute dominieren die medial provozierten Bilder zu Wirtschafts- sowie politischen Flüchtlingen, doch die Weltbank prognostiziert, dass die Welt bis zum Jahr 2050 mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen einer neuen Herausforderung gegenüber stehen wird. Es gilt die internationale und kooperative Zusammenarbeit auf Augenhöhe für die Entwicklung von lokalen und globalen Lösungen und gleichzeitig die Gewährung von Rahmenbedingungen, unter denen ein gleichberechtigtes Zusammenleben in gleichen Lebensräumen stattfinden kann. Die Geschichte hat gezeigt, dass Rassismen nicht nur zur Ablenkung von den eigentlichen sozioökonomischen Problemen strukturell eingesetzt und gepuscht wurden und allen Beteiligten Schaden zugefügt haben, sondern auch im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben können.

In diesem Zusammenhang ist die Integration ein langer und vor allem interaktiver Prozess, welcher von allen Beteiligten der Gesamtgesellschaft zur Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens getragen wird. Die staatlichen Strukturen und Diskurse sind aufgerufen diese Dynamiken demokratisch zu fördern und nicht segregativ zu puschen und die bestehenden Konflikte weiter zu schüren, denn, dass in einer globalisierten Welt die Kreierung von homogenen und isolierten Lebensräumen nicht möglich ist, hat uns die Vergangenheit gezeigt. Natürlich ist die Vielfalt an sich, und Konstrukte sind jegliche Vereinheitlichungsmaßnahmen, die im Interesse der Macht- und Entscheidungsträger*innen getätigt werden. Diese können ihre Vorhaben in einer hierarchisierten, gespaltenen, polarisierten Gesellschaft besser durchsetzen. An der Idee „divide e impera“ hat sich bis dato nichts geändert und es ist umso interessanter, dass sie jedes Mal funktioniert.

Anfang 2018 lebten im Ballungsraum Wien 40,2 Prozent (759.564 Personen), die eine Drittstaatsherkunft innehatten. Dass Wien z.B. eine Einwanderungsstadt ist, hat mit den Push-and-Pull Faktoren des internationalen und nationalen Arbeitsmarkts zu tun. Die letzte Regierungsperiode zeigte, dass die Instrumentalisierung der Spaltung der Gesellschaft auf ethnischer, kultureller sowie religiöser Ebene, die gesetzliche Einführung des 12-Stundentags und die Kürzung der Sozialleistungen ebnete. Während auf der einen Seite die Österreicher*innen mit der Forcierung rassistischer Ressentiments entsolidarisiert wurden, belegen Erhebungen, dass gerade in der hiesigen Regierungsperiode genau jene Zielgruppen dieser rassistischen Angriffe, als Billiglohnkräfte unter prekären Umständen angestellt und für das Lohndumping im österreichischen Arbeitsmarkt eingesetzt wurden.

Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich definieren, dürfen und sollen das Recht auf die österreichische Staatsbürger*innenschaft haben. Es dürfen z.B. die systemisch erzeugten Probleme, die Menschen, die trotz ihrer Sprachkenntnisse und Ausbildung in die Arbeitslosigkeit drängen nicht als ein Hindernis im Erhalt der österreichischen Staatsbürger*innenschaft konzipiert werden. Es ist weder der Erhalt der österreichischen Staatsbürger*innenschaft ein Hindernis dafür, dass transnationale Beziehungen zu den Herkunftsregionen weiter gepflegt werden, noch ist diese Transnationalität ein Hindernis dafür, den Lebensmittelpunkt in Österreich zu definieren. Diese Vernetzungen sind natürliche Bestandteile einer globalisierenden Weltgesellschaft. Insofern, muss das österreichische Staatsbürger*innenschaftsgesetz demokratisiert werden. Der Ausschluss von Menschen von gleichen Rechten und Pflichten sowie die hierarchisierende Kategorisierung dieser gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Erzählungen des vergangenen Jahrhunderts, in der vereinnahmende Homogenisierungmechanismen dominiert haben, haben viele Menschenleben gekostet und die Solidarisierungsachsen der Träger*innen der Gesellschaft gegenüber der Profitgier der Wirtschaft geschwächt. Erst ein Diskurswandel, in der Respekt, Anerkennung und Wertschätzung gegenüber der Vielfalt gelebt wird, wird eine gewollte Integration von allen Beteiligten der Gesellschaft eigendynamisch möglich machen. Allerdings wird genau das nicht möglich sein, solange in Österreich ca. 20 % und in Wien ca. 30 % unserer Mitmenschen von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch machen können.

Es eint uns das gemeinsame Interesse eines fairen Zusammenlebens unter gleichberechtigten Bedingungen und gemeinsam gefassten Spielregeln, in der die Würde des Menschen im Zentrum steht, und nicht die Kriminalisierung kultureller sowie religiöser Zugehörigkeiten, die als Bereicherungen unseres gesellschaftlichen Miteinanders betrachtet, konstruktivere Möglichkeiten schaffen würde.

 

zeynemarslan

20.08.2019

Foto: Simon Valentin, Martin Teubner in: https://userpages.uni-koblenz.de/~luetjen/sose15/elodido.pdf

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